Pferdemuskulatur: Leistungszentrum und Energiespeicher
Muskelerkrankungen bzw. Probleme in der Pferdemuskulatur wie sie z.B. bei »
PSSM (PSSM:
Glucogen-Speicher-Störung) erkennbar werden, rücken in den letzten Jahren immer mehr in den Focus von Pferdehaltern und Reitern. In diesem Zusammenhang machen wir uns glücklicherweise immer häufiger Gedanken, welche Aufgabe die Muskulatur bei unseren Pferden spielt.
Was macht die Pferdemuskulatur? Wie funktioniert ein Muskel?
Wie kann ich die Muskulatur meines Pferdes trainieren und aufbauen?
Damit ein Muskel Leistung erbringen kann, wird Energie benötigt.
ATP ist die "Energie-Währung", die der Muskel benötigt.
Um ATP herzustellen, speichert der Muskel den "Rohstoff"
Glucogen.
Pferde mit »
PSSM = Glucogen-Speicher-Störung haben hier ein Problem:
Muskelbiopsien bei PSSM zeigen eine 1,5 bis 4 fach höhere
Glycogen-Konzentration im Muskel als bei gesunden /"normalen"
Pferden.
» PSSM gerät gerade in einen Modetrend: Unklare Symptomatiken werden vor allem in Online-Foren gerne in die Schublade PSSM gepackt. Leider sind Rückenprobleme bei Pferden keine Seltenheit mehr. Rückenprobleme beim Pferd zeigen sich häufig in nicht ganz eindeutiger Symptomatik: trotzdem stecken hinter » ähnlichen Symptomen häufig gänzlich unterschiedliche Auslöser.
Bei » PSSM liegt die Ursache aller sichtbaren (Folge-)Symptome in der Tatsache, dass beim betroffenen Pferd zu viel Glycogen im Muskel eingelagert wird.
Im Rahmen der Trainingslehre ist es für jeden Reiter wichtig, sich genauer mit Funktion, Aufbau und der Trainierbarkeit der Pferdemuskulatur zu beschäftigen. Schauen wir also mal genauer hin:
Kraftwerk Muskulatur
Ca. 50% des Körpergewichts entfällt beim Pferd auf
Muskelgewebe! Die Hälfte des Pferdes ist Muskulatur!
Als Vergleich der Mensch: ca. 29% des Gesamtgewichtes beim Menschen entfällt auf die Muskulatur.
Muskelaufbau
Ein Muskel besteht aus Muskelbündeln und Muskelfasern: Muskelfasern
sind einzelne Muskelzellen, die u.a. sauerstoff-bindendes Eiweiß
(Myoglobin) und kontrahierbare Elemente (Myofibrillen) enthalten.
Versorgt werden der Muskelfasern durch ein dichtes, durch Training beeinflussbares Blutgefäßsystem.
Über feinste Kapillargefäße
werden einzelne Muskelfasern mit Sauerstoff und Nährstofffen
versorgt bzw. die Entsorgung von CO2 und andere Stoffwechselprodukte
wird gewährleistet.
Je nach Sauerstoffnutzung und Kontraktionsgeschwindigkeit wird vereinfacht
zwischen drei Muskelfasertypen unterschieden
Typ I Faser | Typ II Faser | |
TYP II A | TYP II X (oder B) | |
SO eng. slow oxidative fibers "langsame oxidative Fasern |
FOG eng. fast oxydativ glycolytic fibers "schnelle oxidative/glykolytische Fasern" |
FG |
ST-Faser eng. slow twitch fibers "langsam zuckende Fasern" sehr ausdauernd, entwickeln allerdings keine hohe Kraft |
Intermediärtyp | FT-Faser eng. fast twitch fibers "schnell zuckende Fasern" können hohe Kräfte entwickeln |
langsam kontrahierend, ermüdungsresistent |
schnell kontrahierend, ermüdungsresistent |
schnell kontrahierend, schnell ermüdend |
TYP I Faser = Rote Muskelfaser: enthalten mehr Myoglobin und Mitochondrien, dafür weniger Myofibrillen - geringerer Glucogen Gehalt als in weissen Muskelfasern |
TYP II Faser = Weisse Muskelfaser: beide Typ II Faser-Typen kontrahieren schnell und enthalten viel Glukogen. Reihenfolge der Glukogen-Entleerung bei Leistung: Typ I -> Typ II A -> Typ II X |
|
Ausdauer | Schnelligkeit und Ausdauer |
Schnelligkeit |
Die Muskelfasertypen, und auch die Anzahl der Muskelfasern,
sind innerhalb genetischer Grenzen bei verschiedenen Pferderassen
vorgegeben.
Wichtig ist: Die Muskulatur am Pferd gibt es nicht. Die Hinterhandmuskulatur hat eine andere Aufgabe als die Halsmuskulatur oder die Rückenmuskeln.
Nicht zu vergessen, das Herz ist eigentlich auch "nur" ein Muskel: ist aber selbstverständlich anders konstruiert als die Skelettmuskeln.
Ein Muskel"paket" ist schematisch wie folgt vorstellbar: Muskelfasern der unterschiedlichen Typen liegen nebeneinander in einem Muskel.
Genetisch vorbestimmt ist es, wieviele Typ I Fasern und wieviele Typ II Fasern in einem Muskel vorhanden sind.
Typ IIa Fasern können in einem gewissen Umfang "umtrainiert" werden.
Auf Schnelligkeit ausgerichtete Rassen wie Quarterhorse oder Vollblüter
(Galopper)
haben einen geringen Anteil an Typ-I Fasern,
Kaltblutrassen haben einen hohen Anteil Typ-I Fasern!
PSSM gilt als Problem der Typ II Muskelfasern. EPSM wurde bei Kaltblutpferden festgestellt. Kaltblutpferde haben jedoch hauptsächlich Typ I Muskelfasern.
Das ist einer der Gründe, warum beide Krankheitsbegriffe noch nicht zusammengefasst wurden.
Energie aus dem Muskel / Glucogen
Damit die Muskeln auch "Arbeit" leisten können, wird Energie
benötigt.
Die von der Muskulatur primär verwertbare Energiequelle ist Adenosintriphosphat
(ATP), das
in Adenosindiphosphat (ADP) und freies Phosphat gespalten wird.
Der ruhende Muskel hat nur geringe ATP-Mengen gespeichert:
diese geringe Menge liefert in Ruhe für ca. zwei Minuten, bei maximaler
Belastung nur für etwa eine Sekunde ausreichend Energie.
Zusätzlich zu diesem ATP-Vorrat besitzt die Muskulatur im Gegensatz zu den
meisten
anderen Organen einen zusätzlichen energiereichen Phosphatspeicher:
Kreatinphosphat. (energiereiches Phosphat wird mit Hilfe der Kreatinkinase auf
ADP übertragen)
Der Energiespeicher in Form von Kreatinphosphat ist drei bis vier mal
so groß wie der in Form
von ATP. (durchschnittliche Kreatinphosphat-Konzentration in der
Muskulatur beim Pferd: 58,4 - 62,2 mmol/kg TM)
In Situationen eines akuten ATP-Mangels kann der Muskel darüber hinaus aus zwei
Molekülen ADP ein Molekül ATP zurückgewinnen.
Die verschiedenen energiereichen Phosphatverbindungen können nur kurzfristig
die
Kontraktionsarbeit des Muskels unterhalten.
Hauptsubstrate, aus denen der Muskel ATP gewinnt, sind Glucose
und freie Fettsäuren einschließlich deren Speicherformen,
Glykogen und Triglyceride sowie einige unter
bestimmten Bedingungen beim Abbau entstehende Zwischenprodukte (Lactat,
Ketonkörper). Auch Aminosäuren können in geringerem Umfang der
Energiebereitstellung dienen.
Hier ist es nochmals wichtig sich zu erinnern: die
Speicherform des ATP ist das in der Muskulatur gespeicherte
Glucogen:
Reihenfolge der
Glukogen-Entleerung bei Leistung
aus folgenden Muskelfasern:
Typ I -> Typ II A -> Typ II X
... weiterlesen: Umwandlung Glukogen im aeroben und anaeroben Stoffwechsel ...
Energie-Verbrauch
Welchen Energieverbrauch haben die Muskeln, bei leichter und später
bei intensiver Arbeit?
Erst wenn diese Frage geklärt wird, kann entschieden werden, wie eine
leistungsgerechte Fütterung auszusehen hat.
aus: Das Prinzhausen-Prinzip: Die Ernährungsstrategie zur Leistungsstiegerung im Ausdauersport
von Jan Prinzhausen und Martina Herget [KVM Medizinverlag]
Erst mit zunehmender Belastungsintensität nimmt der Glukoseabbau zu.
Bei
leichter / geringer Ausdauerbelastung bzw. geringer Intensität holt sich der Muskel seine Energie aus den
"Fettsäuren":
Typ I Fasern, die für diese Leistung bei
geringer Intensität und bei Ausdauer gefragt sind, sind
spezialisiert auf die Energiegewinnung aufgrund von Fettsäuren.
Freie Fettsäuren entsteht z.B. im Grimm- und Blinddarm bei
der Umwandlung von pflanzlicher Zellulose.
Kohlenhydrate finden sich in Gras
(Pflanzenstängel + Blätter), Heu, Luzerne und
natürlich im Getreide (Samenkörner).
Mit Gras und Heu ist das Pferd
demnach gut
grundversorgt. Erst bei höherer
Beanspruchung wird eine Hafer-Ergänzung benötigt. Im
Erhaltungsbedarf und bei geringer Leistung ist die Kraftfuttergabe
für Pferde kritisch zu hinterfragen. Warum wird
überhaupt Kraftfutter gefüttert? Braucht mein Pferd
diese zusätzliche Gabe überhaupt - oder überfüttere
ich damit mein Pferd bereits?
Muskulatur, Insulin und PSSM oder EMS
Um Glucose zu speichern und bei Bedarf zur Verfügung zu stellen ist zunächst
die Leber das zentrale Regulationsorgan: die Leber speichert Glucogen, bildet
über die Gluconeogenese Glucogen und "gibt" über die Regulation des Blutzuckerspiegels Glucogen bei Bedarf frei.
Das Leberglykogen dient der Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels und damit der
Versorgung des Gehirns, der roten Blutkörperchen und
Nervenzellen mit Glucose.
Bezogen auf den Köpergesamt-Glucogen-Gehalt findet sich das meiste Glycogen allerdings in der
Skelett-Muskelmasse.
Das gilt sowohl für den Menschen - und unter Beachtung, dass beim
Pferd 50% des Gesamtgewichtes auf die Muskulatur entfallen, noch
viel deutlicher beim Pferd.
Die Skelettmuskulatur nutzen ihre Glucogen-Speicher jedoch "nur" für den Eigenbedarf.
Wenn Glukose in den Blutkreislauf gelangt, stimuliert es die Freisetzung von Insulin. Insulin ist an bestimmte Rezeptoren der Zellmembranen gekoppelt und erleichtert das Eindringen von Glukose in die Zellen. Normalerweise sind die Zellmembrane für Glukose undurchlässig. Wenn aber ein Zellrezeptor aktiviert ist, erlauben die Zellmembrane das schnelle Einströmen von Glukose in die Zellen. Insulin unterstützt auch die Glykogensynthase und erlaubt den Zellmembranen auch bestimmte Aminosäuren, Creatine und einige Mineralien durchzulassen. Insulin bewirkt, dass Glukose Transport Proteine (GLUT) ihre Aktivität steigern, was eine erhöhte Aufnahme von Glukose durch die Muskelzellen erlaubt.
Spannend! Man geht davon aus, dass Training
( = Muskelarbeit = Muskelkontraktionen) einen insulinähnlichen
Effekt auf die Glukoseaufnahme-Fähigkeit der Muskulatur hat.
Daher ist auch bei »
EMS das Training
so wichtig, um die Insulinresistenz
"abzufangen".
In der Muskelzelle wird der aufgenommene Zucker zu einer Speicherform, dem Glykogen umgebaut. Leistet der Muskel Arbeit, wird Glykogen wieder in Zucker zerlegt und der Zucker unter Verbrauch von Sauerstoff zu CO2 und Wasser abgebaut, wobei Energie frei wird. Diese Energie nutzt der Muskel für die Arbeitsleistung.
Hat das Pferd die Genvariante für »
PSSM, sind seine Muskelzellen deutlich sensibler für Insulin.
Recht geringe Mengen Insulin führen dazu, dass vermehrt Glucose (Zucker) aus dem Blut aufgenommen wird.
Wird die gespeicherte Energie nicht in Form von Muskelarbeit rechtzeitig
abgebaut, füllen sich die Glykogenspeicher des Muskels immer
weiter. Bei PSSM Pferden findet man die 1,5- bis 4-fache Menge an Glykogen im Muskel im Vergleich zum Normalwert.
Wird immer noch kein Glykogen durch Arbeit verbraucht und stattdessen
weiter neuer Zucker nachgeliefert, so kettet der Muskel die Zuckermoleküle aneinander, so dass
Stärke (Mehrfachzucker) entsteht. Diese Stärke
wird in die Muskelzelle eingelagert. Die Stärke kann jedoch nicht mehr zur Energie-Gewinnung genutzt werden.
Obwohl ein PSSM Pferd eigentlich genügend Energie in Form
von Glucogen ursprünglich zur Verfügung hat, entsteht durch die
fehlerhafte Einlagerung des Energieüberschusses
paradoxerweise ein Energiemangel.
Daher ist es beim PSSM Pferd so wichtig, dass Energie-Nachschub in
Form von Fütterung und Training in einem sehr ausgewogenen
Verhältnis zueinander TÄGLICH stattfindet.
Im Gegensatz zu einigen Muskelkrankheiten bei anderen Tierarten sind auch PSSM Pferde in der Lage, Glykogen ganz normal unter Sauerstoffverbrauch in Energie umzuwandeln.
Daher führt gesteigertes Training auch bei Pferden mit PSSM Genmutation zu einer Abnahme des Muskelglykogens bis zu einem normalen Niveau.
PSSM Typ 1 wird nach Untersuchungen dominant vererbt; wenn also ein Elternteil diese genetische Variante aufweist, besteht eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass das Fohlen sie ebenfalls hat.
Genmutationen, die so häufig wie PSSM vorkommen, müssen
eigentlichen einen evolutionären Vorteil bieten - sonst gäb es sie
nicht!
Man vermutet mittlerweile, dass bis zu 50% unserer Pferde die PSSM
Veranlagung haben.
Wir finden PSSM besonders häufig unter
Leistungspferden.
Eigentlich ist PSSM eine Anpassung an energiearmes Futter bei
gleichzeitiger optimaler Leistungs-Bereitschaft. PSSM Pferde sind wesentlich effektiver in der Ausnutzung auch kleinster Blutzuckererhöhungen für Muskelarbeit.
Bei Rassen, die traditionell viel Kraftfutter bei relativ geringer
Leistung bzw. bei Dressurpferden, die bei weiter Förderung in hohe
Klassen besonders viel Kohlenhydrate benötigen
(Typ II B Muskelfaser bei häufiger Leistung im anaeroben Stoffwechsel), kommt PSSM
deutlich seltener vor.
Bei Pferderassen, die schon immer viel arbeiten mussten
- bei gleichzeitig möglichst sparsamer Fütterung (wie z.B. Quarter Horses, Kaltblüter, Ponys etc.)
oder in Leistungslinien, die auf große Ausdauerleistung gezüchtet
wurden (wie z.B. Araber oder Berber) hat die PSSM Genvariante
eigentlich nur Vorteile.
Für diese Pferde wird jedoch eine Überversorgung mit
kohlenhydratreichem Futter zum Problem, da diese
Fütterung für diese Pferde nicht artgerecht ist.
Zink und Insulin
Sobald das Hormon Insulin in den Focus tritt, muss immer an
Zink gedacht werden. Zinkmangel kann für eine gestörte Glucose-Toleranz verantwortlich sein. Es gibt komplexe
Zusammenhänge zwischen Zink, Insulin und Glucosestoffwechsel. Zinkmangel kann
zu einer verringerte Insulinproduktion bzw. zu einer reduzierten
Insulinwirkung führen.
Daher bei EMS unbedingt die Zink-Versorgung beachten.
Interessant: auch bei vielen PSSM Pferden finden sich sogar im
Blutbild auffällige Zinkblutwerte.
Fütterung bei PSSM / Myopathie
Fütterungsumstellung und Training müssen Hand in Hand gehen, um einen optimalen Erfolg zu erzielen. siehe Stephanie Valberg: University of Minnesota: Polysaccharide Storage Myopathy (PSSM) in horses
If only the diet is changed, we found that approximately 50% of horses improve. If both diet and exercise are altered, then 90% of horses have had no or few episodes of tying-up.
Link-Tipp
Energiestoffwechsel beim Menschen
sehr informative Grafiken von Dr. Peter Wastl
Institut für Sportwissenschaft
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Blut und Speichelparameter beim Kaltblutpferd in Ruhe und bei Zugarbeit
Doktorarbeit Tierärztliche Fakultät München: Kirsten Kroner (2006)
Sehr interessante Zusammenstellung von Leistungsparametern, deren Trainierbarkeit
und Meßbarkeit: auch viele Gegenüberstellungen von Messungen an Distanzpferden und Trabern etc.
auch im Bezug zu den unterschiedlichen Muskelfasertypen, Trainierbarkeit von Atmung und Lungenfunktion,
Thermoregulation etc.
Untersuchungen der Skelettmuskulatur bei Pferden mit chronischen Pneumopathien
auch wenn es vorrangig um ein anderes Problem geht: hier wird die Anatomie, Histologie und Physiologie der Skelettmuskulatur beim Pferd
vorgestellt. Schön dargestellt die Energiebereitstellung im Muskel: aerobe und anaerobe Stoffwechsel-Lage und Sauerstoffbedarf bei Belastung.
Interessant der Abschnitt über die Muskelbiopsie
link zu
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Dai-Shodan: Stoffwechselerkrankungen beim Pferd